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Auswilderungen zählen zu den spektakulärsten Maßnahmen im Natur- und Artenschutz. Jörg Beckmann, biologischer Leiter im Tiergarten der Stadt Nürnberg, informierte kürzlich im Nationalparkzentrum „Haus der Berge“ in Berchtesgaden im Rahmen der traditionellen Winter-Vortragsreihe über das Thema: Abenteuer Auswilderung – Der lange Weg, bis die Kiste endlich aufgehen kann. Der Vortrag wurde auch per Livestream übertragen.
Die beiden im Juni 2021 im Nationalpark Berchtesgaden ausgewilderten Bartgeier-Weibchen „Wally“ und „Bavaria“ sind prominente Beispiele, doch steht hinter Auswilderungsprogrammen deutlich mehr als nur das öffentlichkeitswirksame Öffnen einer Transportkiste. Jörg Beckmann vom Tiergarten der Stadt Nürnberg beschäftigt sich unter anderem mit internationale Auswilderungsprogrammen. Der 39-jährige Wissenschaftler engagiert sich neben dem Bartgeier auch für andere Arten wie Alpensteinbock, Waldrapp, Uralkauz, Europäischer Ziesel und Europäische Sumpfschildkröte. „Einer Auswilderung geht voraus, dass für die betroffene Tierart irgendetwas grundlegend schiefgelaufen ist – ihr Bestand ist bedroht“, begann Beckmann seine Ausführungen, und ergänzt: „Eine erfolgreiche Auswilderung setzt natürlich voraus, dass die natürlichen und auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen passen. Nicht nur der Zuchterfolg, sondern auch die Akzeptanz der Menschen für solche Maßnahmen ist entscheidend für das Gelingen“.
Auch die rechtlichen Aspekte einer Auswilderung beleuchtete Beckmann ausführlich. Dabei spielen umfangreiche Vorgaben zu Haltung, Ernährung, Zucht und zum Monitoring der Tiere nach der Auswilderung eine wesentliche Rolle. „Die Entstehung eines Zuchtprogramms ist komplex und verläuft in unterschiedlichen Phasen“, erklärte der Referent. „Zunächst geht es darum, geeignete Gründertiere zu finden und Erfahrungen in Haltung und Zucht zu sammeln. Im Folgenden wird ein Halternetzwerk aufgebaut und die Tiere auf mehrere Stationen verteilt. Die Zielgröße in Zoopopulationen liegt je nach Tierart zwischen 150 bis 400 Tieren, dann ist der Bestand zunächst gesichert und es können Individuen für Auswilderungsprogramme abgegeben werden“, informiert Beckmann. Besonderes Augenmerk liegt nach Aussage des Experten dabei auf der genetischen Vielfalt der Population. Verwaltet werden die Daten der Zuchtbücher in der größten Tierdatenbank der Welt, die im Jahr 2022 insgesamt 1.200 Mitglieder in 99 Ländern hat. Hier werden 22.000 Arten mit über 10 Millionen Individuen verwaltet.
Ein Beispiel für erfolgreiche Auswilderungsprogramme ist der Bartgeier. Auch die beiden ersten in Bayern ausgewilderten Bartgeierweibchen sind Teil dieses Projekts. Das heute als europäisches Erhaltungszuchtprogramm EEP (EAZA ex situ programme) geführte Programm wurde 1978 gegründet mit dem Ziel, die Art im Alpenraum wieder anzusiedeln. Bis heute wurden im Rahmen des Programms 858 Geier gezüchtet und davon 343 ausgewildert. „Die öffentlichkeitswirksame Auswilderung steht dabei am Ende einer ganzen Reihe umfangreicher Vorarbeiten“, gibt Beckmann zu bedenken. Die Tiere müssen 365 Tage im Jahr von Fachpersonal versorgt werden, außerdem sind Veterinärmediziner sowie die Bereiche Biologie, Forschung, Technik und auch die Verwaltung involviert.
Bei allen Auswilderungsprogrammen gilt: In ihre natürlichen Lebensräume entlassen werden ausschließlich gesunde und junge Tiere, die frei von Parasiten sind. „Zu Projektbeginn ist es außerdem wichtig, dass Individuen ausgewildert werden, die genetisch im Zuchtprogramm gut repräsentiert sind und außerdem genetisch ungleich sind, also gut zueinanderpassen“, erläutert Beckmann. Nach der Auswilderung schließt sich ein Monitoring an. Dies kann erfolgen über Sender, Marken, Federn oder DNA, außerdem werden nach Möglichkeit die Mobilität und auch die Sterblichkeit der ausgewilderten Individuen überwacht. Nach der Auswilderung sind die Tiere in ihrem Lebensraum auf sich allein gestellt und können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, selber Nachwuchs zur Welt bringen und zur Erhaltung ihrer Art beitragen. Weitere Informationen zu verschiedenen Zuchtprogrammen gibt es auf der Webseite des Tiergartens der Stadt Nürnberg.
Der nächste Vortrag im Rahmen der traditionellen Winter-Vortragsreihe des Nationalparks Berchtesgaden findet statt am Donnerstag, 7. April um 19 Uhr. Dann berichtet Dr. Christian von Hoermann vom Nationalpark Bayerischer Wald zum Thema „Sterben im Wald – Der Wert von Aas für das Ökosystem“.
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